Die Geschichte des Puzzles: ein Teilchen nach dem anderen
Foto: Bob Armstrong von oldpuzzles.com
250 Jahre durchlebte das Puzzlespiel Höhen und Tiefen und erfand sich mehrmals neu. Grossbritannien, Deutschland und die USA prägten das Geduldspiel. Welche entscheidende Rolle Frauen eingenommen haben, erfahren Sie in diesem Artikel.
Es ist wahrlich ein aussgewöhnliches Spiel und heute kennt es beinahe jedes Kind. Hinter dieser trivialen Freizeitbeschäftigung verbirgt sich eine spannende Geschichte. Genau diese werde ich Ihnen erzählen. Warum beschäftigen sich Leute überhaupt mit diesem Thema?
Die Puzzlegeschichte verrät einiges über unsere Kultur. Kunst, Bildung, Technologie, Wirtschaft, Arbeit, Freizeit sowie Unterhaltung sind alle im Legespiel seit 250 Jahren vereint. Historische Ereignisse wie die Industrialisierung, die grosse Depression oder die beiden Weltkriege beeinflussten die Entwicklung des Puzzles massgeblich.
Die Motive sind ein Spiegelbild unserer Lebensweise - manchmal realistisch, manchmal idealisiert. Sie beschäftigen sich mit aktuellen Ereignissen, Literatur oder politischen Themen wie Kriege, Monarchien, Wahlen oder Sklaverei.
Ich wähle eine chronologische Reihenfolge, weshalb der geografische Schauplatz Hin und Her springt. Da dies keine wissenschaftliche Arbeit darstellt, verzichte ich zugunsten der Lesbarkeit auf Quellenverweise direkt im Text. Sie finden am Ende des Artikels einige nützliche Literaturhinweise.
Der vermeintliche Erfinder: John Spilsbury
Wer hat das Puzzlespiel erfunden? Diese Frage ist knifflig, weil sich die Recherche von weit zurückliegenden Ereignissen als schwierig erweist. Zeitzeugen weilen nicht mehr unter uns und Fotos liessen noch auf sich warten. Nur Schriftstücke bringen Licht ins Dunkle.
Experten sind sich nicht einig, wer Schöpfer des Puzzlespiels war. Dazu müsste man präzise definieren, was unter einem «Puzzlespiel» gemeint ist. Gehören zum Beispiel Mosaikspiele dazu oder nicht? Mit dieser Frage möchte ich Sie nicht langweilen, denn immerhin herrscht Konsens, wer dem Spiel zum Durchbruch verholfen hat.
Es war John Spilsbury - viele sehen in ihm den Erfinder des Geduldsspiels. Es ist nachweisbar, dass er das Puzzle als Erster clever vermarktet hat. Ihm ist es zu verdanken, dass wir heute ganze Abende damit verbringen, zerschnitte Teile zusammenzusetzen.
Spilsbury absolvierte 1753 eine Lehre beim Ladenbesitzer Thomas Jefferys. Drei Jahre später eröffnete der Brite sein eigenes Geschäft – in einer Zeit, als die industrielle Revolution langsam einsetzte. Die Reisemöglichkeiten waren gewachsen und die internationalen Handelsbeziehungen intensivierten sich. Dementsprechend wurde Wert auf eine solide geografische Bildung gelegt.
Als Spilsbury 1763 begann, zerschnittene Karten auf Holzplättchen zu kleben und als Puzzles («Rätsel») zu verkaufen, erinnerte er sich bestimmt an seinen Lehrmeister. Dieser hatte nur vier Jahre zuvor ein geografisches Gänsespiel verkauft.
Diese Zeit ist längst passé und es fällt schwer, sie einzuordnen. Das Puzzle gab es schon, als das Radio noch zwei Jahrzehnte auf sich warten liess, der TV unvorstellbar war und nur wenige Haushalte elektrifiziert waren.
Der gewiefte Kartenhändler Spilsbury verlangte für die Puzzles von England bzw. Irland ein Pfund und einen Schilling. Das war doppelt so viel wie für andere Länder - für die Oberschicht scheinbar kein Problem. Um den Preis zu senken, bot Spilsbury auch Exemplare ohne Meeresteile an, aber selbst diese Ausgaben konnten sich die meisten Familien nicht leisten.
Die Entstehung der Konsumgesellschaft
Warum waren Spilsburys Lernspiele so beliebt? Im 18. Jahrhundert wurden pädagogische Gedanken populär. Weise Köpfe wie John Locke oder Jean-Jacques Rousseau veröffentlichen ihre Sichtweise zur Erziehung von Kindern. Kinder wurden zur neuen Zielgruppe der Konsumgesellschaft.
Das Puzzlespiel war da keine Ausnahme. Dutzende Buchhändler versuchten das neue Geschäftsfeld für sich zu beanspruchen. Es wurden massenhaft Bücher und Spiele angeboten, welche für Erziehung sowie Unterhaltung sorgen sollten. Ein Trend, der bis heute anhält.
John Spilsbury starb mit nur 29 Jahren. Andere Geschäftsleute adaptierten seine Idee und weiteten sie aus. Ab ca. 1785 kamen in England erstmals Puzzles auf, die dem reinsten Vergnügen dienten und keinen didaktischen Zweck erfüllen sollten. John Wallis gilt als Schöpfer der Bilderbogenmotive.
Puzzlespiele mit Landkarten blieben in England aber vorerst dominant. Ende des 18. Jahrhunderts basierten 50 bis 80% der Motive auf geografischen Darstellungen. Es war hauptsächlich ein Geduldsspiel für Kinder, erst später sollten zerschnittene Bilder für Erwachsene folgen.
Der Charme des 19. Jahrhunderts
Noch war das Puzzle keine Massenware. Es wurde hauptsächlich Holz zur Produktion eingesetzt, auch wenn in Deutschland erste Papppuzzles aufkamen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren in Deutschland Klassiker der heimischen Kunst angesagt. Etwa 20% der Puzzlespiele benutzten solche Motive.
Die europäischen Revolutionen um 1848 veränderten die Puzzlelandschaft. Bis anhin gab es kaum militärische Szenen. Folgten nun realistische Abbildungen mit reichlich Blut, zerstreuten Gliedmassen und kopflosen Gefallenen.
Heute erscheint es grausam, Kinder mit naturalistischen Schlachtszenen spielen zu lassen. Zu jener Zeit war es normal. Ca. 20% der deutschen Puzzles zwischen 1845 und 1875 weisen Militärmotive auf. Ähnliche Darstellungen finden sich auch in Frankreich und den Niederlanden. Lediglich in England waren militärische Szenen verpönt.
All zu düster präsentierten sich die Spielzeuge in den Kinderzimmern allerdings nicht. Ab ca. 1860 bilden spielende Kinder zu 30% die Vorlage von Legespielen. Oftmals sind Kinder draussen am Trollen, auf dem Bauernhof mit Haustieren oder sie spielen Soldat.
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Oben ist ein Kinderpuzzle mit 48 Holzteilen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zu sehen. Die Kinder feiern Weihnachten und besitzen bereits eine Menge Spielzeug. Diese kinderfreundlichen Puzzlespiele verbreiteten sich auf dem ganzen europäischen Festland.
Was war mit den geografischen Puzzles im Geiste von Spilsbury passiert? In Deutschland wurden diese ab Mitte des 19. Jahrhunderts kaum mehr hergestellt. Die Produzenten konzentrierten sich auf das lukrative Exportgeschäft und da waren Bildermotive erfolgreicher. Ebenso verzichtete man auf religiöse Abbildungen.
Diese Entwicklung steht im krassen Gegensatz zu Grossbritannien. Im Ursprungsland waren geografische Puzzlespiele immer erhältlich. Die Marke Peacock faszinierte mit beidseitigen Teilen - Landkarte auf der einen Seite und englische Monarchen auf der anderen. Das folgende Exemplar stammt aus dem Jahre 1887.
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Eine beachtliche Ausnahme gab es jedoch auch in Deutschland. Ca. 1865 entwickelte Abel Klinger ein Globus-Puzzle. Dieses bestand aus 38 Teilen und war in Scheiben aufgeteilt. Es war ein Vorläufer heutiger 3D-Puzzles.
Marketing als Beschleuniger
Dass Legespiel befand sich auf dem Vormarsch - auch dank ausgereiften Marketingideen. Die Hersteller realisierten, dass es sich lohnte, das Motiv auf den Deckel zu drucken. Zuvor war es üblich, das Motivbild lediglich in der Schachtel beizulegen oder gänzlich darauf zu verzichten.
Mit dieser neuen Idee ging die Vorlage nicht verloren. Die Verpackung als anziehender Werbeträger war geboren. Zudem half dies dem Kunden bei der Wahl des Produkts.
Ein Beweis für innovative Reklame ist folgender Reimspruch aus dem Jahre 1865:
«Geduld musst Du haben mein liebes Kind
Es geht nicht alles so rasch wie der Wind
Mit Geduld und Fleiss erreichst Du viel
Es ist so im Leben, wie mit diesem Spiel»
Noch heute lassen sich Eltern mit diesen einleuchtenden Argumenten überzeugen - der Reim ist aktueller denn je. Neben raffinierter Werbung verhalfen steigende Einkommen, eine wachsende Bevölkerung und moderne Transportmittel dem Puzzlespiel zu flächendeckender Verbreitung. Das Spiel wurde langsam aber sicher für die meisten Familien zugänglich.
Produktionsfortschritte
Die Puzzleproduktion blieb nicht unberührt von den technischen Fortschritten im 19. Jahrhundert. In Amerika verzichtete man vermehrt auf Hartholz und wechselte zu Holzfaserplatten, um Kosten zu sparen. Manchmal auch Pappe, welche ohnehin für die Verpackung verwendet wurde. Der Durchbruch von Puzzles aus Pappe zog sich aber noch mehrere Jahrzehnte hin.
Die Verwendung von Pappe zu jener Zeit ist eher damit zu erklären, dass die Puzzleproduktion stark mit der Papier- bzw. Pappeherstellung verwandt ist. Weil die nötigen Maschinen bereits in den Betrieben vorhanden waren, entschieden sich viele Hersteller in das Puzzlegeschäft einzusteigen.
Was hielt die Pappe vorerst auf? Stanzen waren noch teuer und besassen nicht genügend Druck für spektakuläre Muster. Somit war es üblich, Pappe zu sägen und dadurch konnten keine Aufwände gespart werden. Die tieferen Materialkosten reichten nicht aus, um das Holzpuzzle zu verdrängen.
Eine grosse Ausnahme bildete Deutschland 1899 ausgerechnet mit einem geografischen Sujet. Die heimische Landkarte wurde den Grenzlinien entlang gestanzt. Dieses Motiv diente allerdings nicht nur dem Vergnügen: Das geeinte Reich auf der Karte vermittelte nationalen Stolz und gleichzeitig trug man der Kleinstaaterei Rechnung.
Vermissen Sie Markenamen? Die meisten der heute dominierenden Marken waren damals noch nicht im Geschäft. Der Vorgänger von Ravensburger, der Otto Maier Verlag, produzierte zwar ab 1884 Legespiele mit Lerneffekt, aber die eigentliche Puzzlerevolution liess noch 80 Jahre auf sich warten!
In den USA kämpfte man gegen Importe aus Europa. Marken wie Milton Bradley oder den McLoughlin Brothers gelang dies gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer besser. Die inländische Produktion begann sich durchzusetzen, auch wenn deutsche Hersteller mit Würfelpuzzles nach wie vor gefragt waren.
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Dieses wunderbare Exemplar stammt von den McLoughlin Brothers. Es repräsentiert das 19. Jahrhundert in den USA. Das Kapitol in Washington D.C. und auf der anderen Seite die Weltkarte, gefüllt in einer bunten Box. Das Puzzle dürfte etwa ab 1888 erhältlich gewesen sein. Heute ist es für jeden Sammler ein Glücksfund.
Diese deutschen Hersteller sind leider nahezu unbekannt, weil es in Europa unüblich war, das Logo auf der Box zu vermerken. Dies änderte sich mit einem US-Gesetz, der das Label von Importgütern verlangte.
Eine wichtige Innovation darf nicht vergessen werden: die interlocking Teile. In Grossbritannien wie in den USA (vgl. Bilder oben) waren interlocking Teile nur an den Rändern üblich. Auf dem europäischen Festland wurden interlocking Teile allerdings bereits über das ganze Motiv genutzt.
Frauenpower zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Kreative Frauen hauchten dem Puzzlespiel in Übersee so richtig Leben ein. Die erste Puzzlewelle anfangs des 20. Jahrhunderts wurde von einer unbekannten Dame (der Name ging verloren) losgetreten. Ihre Puzzles waren sehr schwierig, noninterlocking und alle Teile rechteckig oder dreieckig geschnitten.
Marjorie Bouvé (1879-1970) hatte den Dreh ebenfalls raus und errichtete ein Homebusiness. Sie stellte tausende «Ye Squirlijig Puzzles» aus Mahagoni her und galt als eine der besten Schneiderinen. Heute sind ihre Motive gesuchte Raritäten. Dieses Meisterwerk erschien 1909 und besteht aus 460 Teilen:
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Ähnlich ist die Geschichte von Isabel Ayer. Sie legte sich eine Fusshebellaubsäge zu und begann mitten in der Puzzleweile 1907 mit dem Schneiden. Ayer erfand den Puzzleverleih, verschickte in dutzende Länder und blieb ihrer Leidenschaft 35 Jahre treu.
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Ayer liebte das Puzzlespiel. Sie verhalf Schneiderinnen zum Einstieg und ersetzte den Kunden fehlende Teile von allen möglichen Motiven. Beim obigen Bärenpuzzle erkennt man hervorragend, wie sie den Farben entlang schnitt. Achten Sie zum Beispiel auf die Schnauze oder das Wasser.
Die Puzzlewelle wurde in Boston ausgelöst. Mit Margaret Richardson war es wiederum eine Frau, die für die Verbreitung in New York (1908) zuständig war. Ihre ehrliche Erklärung, warum sie Puzzles herstellte:
«This appealed to me, as making the puzzles seemed rather good fun, and selling them would mean more good fun, and extra money to spend.»
Sie kaufte sich eine Laubsäge, legte los und beglückte Familien sowie Freunde. Ein paar Monate später explodierten ihre Verkäufe. Plötzlich stand sie 40 Mitarbeitern vor. Diese schnitten, schliffen und verpackten, was das Zeug hielt.
Ihre «Perplexity Puzzles» fanden den Weg nach San Francisco, London und Paris. Sie waren so gross und komplex, wie der Käufer es wünschte. Ihre Produkte erreichten Preise von bis zu 30 Dollar – damals eine stolze Summe!
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Man muss dieses Perplexity Puzzle mit 635 Teilen nicht gelöst haben, um zu merken, wie schwierig es ist. Dunkle Farben plus ein einzigartiger Schnitt der Indianerfrau entlang reichten aus, um die New Yorker ab 1909 zur Verzweiflung zu bringen.
Am Ende der Puzzlewelle 1910 hatte Richardson genug Geld verdient, um sich nach Cape Cod zurückzuziehen. Dort schnitt sie weiter, aber nur in kleinen Mengen. Sie hatte noch zwei Mitarbeiter, einer davon war ihr Sohn Edgar.
Was machte die Puzzlewelle von 1907-1910 aus?
Im Gegensatz zu den zuvor üblichen Kinderpuzzles waren Erwachsenenpuzzles regelrechte Mysterien. Oft gab es keine Vorlage auf der Box, welche den Puzzler führten. Nur ein rätselhafter Titel gab einen Hinweis, wie das vollendete Motiv aussehen würde.
Männer äusserten sich zu Beginn skeptisch gegenüber dem Legespiel. Sie glaubten, es sei simpel und sie verstanden nicht, weshalb ihre Frauen oder Kollegen so lange dafür benötigten. Sie dachten, die Anderen seien alle unfähig. Bis sie selbst einmal den Versuch unternahmen...
Mann war überrascht, wie schwer es war. Wo mochte sich bloss das verflixte Teil verbergen, fragten sich viele. Mancher fand gefallen am Geduldspiel und wurde vom Puzzlevirus infiziert. War ein Sujet gelöst, musste sofort ein anspruchsvolleres her!
Einzig ärmere Leute waren keine Puzzler. Der Durchschnittslohn betrug damals 12 Dollar. Ein Stück kostete gut einen Cent. Für 400 Teile mussten also vier Dollar hingeblättert werden. Das war zuviel Geld für schlechtverdienende.
Hilfreich waren Puzzleclubs, welche in einigen US-Städten gegründet wurden. Jedes Mitglied kaufte ein Motiv, löste es, und tauschte es alle zwei Wochen. 1910 flachte die Puzzlewelle ab und im Zuge des Nachfragerückgangs mussten viele Arbeiterinnen ihre Geschäftstätigkeit aufgeben.
Was war mit Deutschland? Mit der Puzzlewelle kam der Begriff «Puzzle» aus England und den Vereinigten Staaten erstmals nach Deutschland. Die Verwendung von Synonymen wie Gedulds- oder Legespiel war aber weiterhin üblich. Auch in Deutschland wurden vermehrt Puzzles nachgefragt, aber mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatten die Leute schon bald andere Sorgen.
Umsturz durch den Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg stellte die Machtverhältnisse im Kinderpuzzlesegment auf den Kopf. Bis anhin hatte Deutschland bei Spielzeugen die Nase vorn. Dies änderte sich rapide und selbst Jahre nach dem Krieg konnte Deutschland diese Vormachtstellung nicht wieder einnehmen.
Das Legespiel wurde zu Beginn beider Weltkriege zu propagandistischen Zwecken missbraucht. Im Ersten Weltkrieg versuchte man bis 1916, die Moral der Frontsoldaten mit Puzzles zu steigern. Ob sich die Stimmung in den Schützengraben wirklich verbesserte, darf bezweifelt werden.
Zudem wurden Kaisermotive als Massenartikel in Lazarette geliefert. Dort waren sie gewiss besser aufgehoben. Die Verpackung war mit dem Eisernen Kreuz verziert und sollte neuen Mut machen. Mit der sich abzeichnenden militärischen Niederlage verschwand die Thematik.
Man würde meinen, dass das Kriegsende neue Geografiepuzzles zur Folge hatte. Schliesslich verschoben sich die Grenzen. In Deutschland wollte man aber nicht an die Gebietsverluste bzw. an die schmerzhafte Niederlage erinnern. Das Puzzlespiel sollte fröhlich und glücklich stimmen.
Die Übergangsphase
Währenddem kleine Hersteller(innen) die Puzzlewelle in Amerika prägten, waren es grössere Firmen, die das Erwachsenenpuzzle am Leben hielten. In den Zwanziger Jahren wurden kontinuierlich Puzzles verkauft, aber nicht in vergleichbaren Mengen wie während der Puzzlewelle.
Die «Parker Brothers Pastime Puzzles» setzten mit exzellenter Massenware neue Qualitätsmassstäbe. Die glorreichen Zeiten, als man pro Woche 15 000 Puzzles herstellte und die restliche Spieleproduktion aussetzte, waren vorbei. Dank Innovation und Kreativität konnten sich die Parker Brothers aber weiterhin auf dem Markt behaupten.
Nach zögerlichem Beginn kopierte Parker den Farblinienschnitt. Später verblüffte man Figürchenteilchen, sogenannte Whimsies. Die meisten Puzzlefreunde waren hin und weg von den neuen Formen. Das spülte frisches Geld in die Kassen, währenddem der Konkurrenz das Wasser bis zum Halse stand.
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Die Schweiz spielte keine entscheidende Rolle in der Puzzlegeschichte, wurde aber öfter mit idyllischen Motiven geehrt. Beide Schweiz Puzzles von Parker stammen aus den Dreissigern und sind mit reichlich Whimsies bestückt. «Fahr in die Schweiz» besitzt 130 verschiedene Spezialteile! Mit 1001 (Fahr in die Schweiz) bzw. 889 Teilen (Arosa) sind es Meisterwerke aus Sperrholz.
Bei den Parker Brothers bedienten ausschliesslich Frauen die Schneidegeräte. Nur sie hätten die kleinen Teile so perfekt schneiden können, hiess es. Wahrscheinlich entsprach der tiefere Durchschnittslohn eher dem wahren Grund für diesen Entscheid. Männer waren sehr wohl in der Lage Spezialteile zu schneiden.
Bei Margaret Richardson waren zum Beispiel nur männliche Schneider angestellt. Die Schneiderinnen bei Parker mussten am Tag mindestens 1400 Teile sägen - davon 168 Spezialteile. Das war Fast & Furious. Die bezauberndsten Motive entwickelten die Profi-Schneiderinnen oft zu Hause.
Die Pappwelle der dreissiger Jahre
Neue Generation, neue Welle, war das Motto der Dreissiger. Die Weltwirtschaft befand sich in einer Krise, etwa jeder vierte Amerikaner war arbeitslos. Puzzles zu schneiden und zu verkaufen war ein willkommenes Nebeneinkommen. In dieser zweiten Welle waren die Männer wesentlich stärker an der Produktion beteiligt als noch 1910.
Das Phänomen während der grossen Depression ist typisch für das Geduldspiel. Das Puzzle erlebte immer wieder Aufschwünge in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Wenn Leute mehr Freizeit hatten, als sie eigentlich wollten, kamen sie auf den Geschmack des Legespiels.
Das Comeback der Puzzlewelle nahm bizarre Züge an. So mussten Feuerwehrleute in Toronto einen Mann dazu zwingen, sein Puzzlespiel zu unterbrechen, um sein brennendes Appartement zu verlassen.
Mit der breitflächigen Verbreitung der Puzzles tankte man neuen Schwung. Hersteller nutzten riesige Industriepressen, um die Teile schnell, präzis und günstig zu stanzen. Die Werbeindustrie entdeckte das Geduldspiel für sich. Beispielhaft war zum Beispiel als die «Prohpylatic Brush Company» aus Massachusetts jeder Zahnbürste ein 50 teiliges Puzzle beilegte.
Holzpuzzles wurden immer noch produziert, aber in relativ geringen Mengen. Mittlerweile hatte sich das qualitativ bessere Sperrholz gegen das massive Nadelholz durchgesetzt. Bei der Nutzung von Hartholz brachen die Teile oft. Deshalb sind nicht viele Holzpuzzles vor 1930 komplett erhalten geblieben.
Ende 1932 nutzten über 200 Firmen das Stanzverfahren. Die meisten Produzenten stammten aus der Pappkartonbox Branche, welche während der grossen Depression in Schieflage geraten war. Während der zweiten Puzzlemanie war es standard, die Boxen mit dem Motiv zu bedrucken.
Schätzungen beziffern die Anzahl Hersteller während der Blützeit auf über 3000 – alleine in den USA. Im Februar 1933 produzierte man in den Staaten zehn Millionen Puzzles pro Woche. Diese wurden nicht alle verkauft. Der Löwenanteil bestand mit ca. 70% aus Werbegeschenken.
Bei dieser unglaublichen Menge war es für den einzelnen Werber schwierig herauszuragen. Einzigartige Grafiken mussten her. Esso (Heute ExxonMobile) heuerte zum Beispiel den bekannten Kinderbuchautor und Cartoonzeichner Theodore Seuss Geisel an, um ihre Motive zu entwerfen.
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Historische Motive von George Washington, dem Civil War oder King Arthur waren ebenso gefragt wie Schokoladenbilder von Landschaften. Es war kein Geld zum Reisen vorhanden, so begnügte man sich mit holländischen Windmühlen, venedigschen Kanälen oder Schweizer Bergen.
Was machte die zweite Puzzlewelle aus?
1933 erreichte die Besessenheit des amerikanischen Volkes nach Puzzles ihren Höhepunkt. Die Teilchen waren überall: In Läden, Zeitungsständen, Filmen, Magazinen und am wichtigsten auf den Wohnzimmertischen im ganzen Land.
Wegen der hohen Arbeitslosigkeit hatten die Menschen überschüssige Zeit, um Puzzles zu schneiden bzw. zu legen. Die Leute waren auf der Suche nach günstigen Vergnügungsmöglichkeiten, um von der ungewollten Freizeit Gebrauch zu machen. Ein Sujet zu vollenden, gab Selbstvertrauen und half, sich von den Problemen des Alltags abzulenken.
Zeitungsstände besserten ihr Einkommen auf, indem Sie neben Neuigkeiten auch Puzzles anboten. Somit waren Puzzles an allen Strassenecken zu kaufen – es war wie im Paradies. Motive für den Puzzleverrückten wechselten beinahe im selben Rhythmus wie die Schlagzeilen der Zeitungen.
Private Bibliotheken begannen neben Büchern auch Puzzles zu verleihen. Dabei hatten Sie das leidige Problem, dass oftmals nicht alle Teile zurückkamen. Manche Verleiher begannen deshalb, die Stücke bei der Rückgabe zu zählen. Andere verzichteten gar auf die Ausleihe, falls kleine Kinder oder Hunde im Haushalt waren. Diese waren Garant für verschollene Teilchen.
Das Ende einer glorreichen Zeit
In Deutschland blickte man neidisch nach Übersee. Die schlechten Geschäftsjahre Ende der Zwanziger waren die Folge einer massiven Arbeitslosigkeit. Die Familien mussten sparsam sein, weshalb sich ein Grossteil der Bevölkerung nur noch Billigprodukte leistete.
Das war kein gutes Omen für deutsche Qualitätsware. Italienische Hersteller überschwemmten das Land mit billigen Spielwaren und setzten der heimischen Produktion zu. Im Zuge dessen mussten viele Hersteller wie zum Beispiel C. Brandt Jr. in den dreissiger Jahren Konkurs anmelden.
Nach mehreren Jahren Wachstum und neun Monaten einer Manie sättigte sich auch in Amerika der Hunger nach Puzzles. Nachdem die Welle an Schwung verloren hatte, war das Legespiel wieder im komfortablen Standby Modus wie in den Jahren zuvor. Auf die Puzzlemanie folgte das legendäre Brettspiel Monopoly im Jahre 1935.
Ironischerweise bescherte die zweite Puzzlewelle, den Holzschneidern zuerst Aufträge, war aber zugleich für deren Zusammenbruch verantwortlich. Denn mit der Einführung von Stanzen und Papppuzzles, war das Ende einer romantischen Ära besiegelt. Seit den Fünfzigern gibt es nur noch eine Handvoll Firmen, die edle Holzpuzzles für Erwachsene herstellen.
Das moderne Puzzlespiel
Wie jedes traditionelle Spiel durchlebte auch das Puzzle einige Hoch und Tiefs. Nach zwei Puzzlewellen entwickelten sich nennenswerte Aufschwünge 1940, 1960 und 1990. Der Zweite Weltkrieg brachte einige Parallelen zur grossen Depression mit sich: Puzzles waren nach wie vor günstig, unterhaltend und lenkten von den schrecklichen Zeiten ab.
Der Zweite Weltkrieg
Manche Soldaten, insbesondere bei der Marine, nahmen Puzzles mit auf ihre ungewisse Reise. Die Kriegsproduktion verschlang in den USA das meiste Metall zum Leidwesen vieler Spielzeugbauer. Den Puzzlehersteller erging es mit Pappe wesentlich besser. Der Zweite Weltkrieg führte zu unzähligen militärischen Motiven. Patriotismus war angesagt. Ein Phänomen, das sich auch nach dem 11. September 2001 zeigen sollte.
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In Deutschland wiederholten sich die Ereignisse. Der anfängliche Siegestaumel im Zweiten Weltkrieg und die Gebietsgewinne waren Anlass zur Neugestaltung von Lehrkarten. Man liess erneut eine Stanze anfertigen, damit das Reich korrekt dargestellt werden konnte. Im November 1942 entstand noch eine erweiterte Neuauflage, danach war Schluss.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten die Alliierten dafür, dass die Fehler aus dem Versailler Vertrag nicht wiederholt wurden. Deutschland sollte wirtschaftlich eingebunden werden – einen dritten Weltkrieg galt es, zu verhindern. Die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen, führten dazu, dass sich das Wort «Puzzle» allmählich etablierte.
Allerdings dauerte es bis in die 50er Jahre ehe Lernpuzzles in Deutschland wieder eine Rolle spielten. Die Produktionsanlagen waren zerstört und es gab zunächst wichtigere Bedürfnisse zu befriedigen. Der schreckliche Krieg blieb auch für das Puzzlespiel nicht ohne Folgen.
Der Josef Scholz Verlag sah sich nach dem Krieg gezwungen, die Puzzlesparte aufzugeben: Alle vier Söhne von Rudolf Scholz, dem Leiter des Verlags, fielen im Krieg. Einer Wittwe gelang es immerhin, andere Spiele und die legendären Kinderbücher weiter zu vertreiben.
Bombenangriffe zestörten fast alle Firmenarchive von Puzzleproduzenten in Deutschland. Neben Ravensburger war Hausser, eines der wenigen unversehrten Archive. Nach dem Konkurs wurde dieses jedoch in mehreren Auktionen in alle Welt verstreut.
Der Ravensburger Siegeszug
Wiedereinmal befand sich das Puzzlespiel in Amerika im Hoch. In den Sechzigern begannen sich Fastfood Ketten auszubreiten. McDonalds oder Wendys verschenkten im Zuge von Werbeaktionen zu jeder Kindermahlzeit ein Puzzle. Dieser Aufschwung war mit Folgen für Deutschland verbunden.
Den Amerikafahrern, so nannte man verlagsintern die Mitarbeiter mit Fernreiseprivileg, bot sich um 1960 in den USA ein überraschendes Bild. In Warenhäusern türmten sich 500- und 1000 teilige Puzzles für Erwachsene.
Die Aussendienstler erfuhren von Firmen mit einer Jahresproduktion von zwei Millionen Puzzles. Riesige Fertigungsanlagen versetzten die Reisegruppe in blankes Staunen. Nachahmung war angesagt, die Hürden lagen allerdings hoch.
Wie sollte man die Deutschen zum Puzzeln bringen? Wie sollte man die Geheimnisse der Herstellung lüften? Aber vor allen Dingen, wie sollte man den eigenen Vertrieb von den Marktchancen überzeugen? Schliesslich gab es in Deutschland keine tiefverankerte Puzzletradition. Heute ist die Sichtweise von Ravensburger Marktstrategen amüsant:
«So eine idiotische Beschäftigung für Analphabeten werden wir nie anbieten.»
Doch die holländischen und skandinavischen Vertriebspartner waren nicht einverstanden. In ihren Ländern grassierte schon ein leichtes Puzzlefieber. Ende der Fünfzigerjahre genoss man vermehrt die Freizeit nach dem Wiederaufbau. Dies schlug sich in gesteigerten Verkaufszahlen des Spiele- und Hobbybereichs nieder.
Die Ravensburger liessen sich überzeugen, zumal die ausländischen Geschäftspartner Hilfe beim Produktions-Know-how anboten. In Schweden wurden die ersten Ravensburger interlocking Puzzles gefertigt und in Holland fand sich eine Puzzlestanze. Der holländische Partner war Hausemann & Hötte, welcher heute unter dem Brand «Jumbo» bekannt ist.
Ravensburger hat Puzzlespiele erst um 1964 ernsthaft in sein Programm aufgenommen. Dabei aber wesentlich dazu beigetragen, dass interlocking Puzzles in Deutschland bekannt und vom Verbraucher akzeptiert wurden. Bei fast allen Motiven aus dieser Zeit erkennt man die einheitliche Teilchenform, weil sie uniform gestanzt wurden.
Der ehemalige Otto Maier Verlag aus Ravensburg hat sich als Marktführer etabliert und ist kaum mehr vom Thron zu stossen. Nicht unwesentlich war der Entscheid eine eigene Marktforschungsabteilung ins Leben zu rufen. Die World-Wide Serie war ein kluger Schachzug:
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Obwohl dutzende Konkurrenten Ende der sechziger Jahre in die Puzzleproduktion eingestiegen sind, haben die Ravensburger fast immer am besten gespürt, was dem Kunden gefallen würde. Man fokussierte sich auf Schokoladenbilder wie Landschaften, Städte und Tiere.
In den Siebziegerjahren wurden Ravensburger und Galt aus England wichtige Exporteure für hochwertige Kinderpuzzles und sind es bis heute geblieben. Obwohl Produkte aus Asien mittlerweile wesentlich billiger sind, ist die bewährte Ravensburger Qualität nach wie vor gefragt.
Der Puzzlekenner wird einwenden, dass 1977 F. X. Schmid das grösste Puzzlesortiment in Deutschland führte. Damals vertrieben die Bayren auch das Angebot vom österreichischen Traditionsunternehmen Piatnik. 1996 wurde F. X. Schmid jedoch vollständig in die Ravensburger AG integriert.
Kleinere Hersteller wie zum Beispiel Spear wurden von der Ravensburger Massenproduktion überrollt. Spear war lediglich in der Lage, Puzzles mit 300 Teilen zu stanzen. Damit war man nicht konkurrenzfähig. Heute rivalisieren sich in Deutschland hauptsächlich Ravensburger, Heye und Schmidt im Haifischbecken des Legespiels. Aber der Konkurrenzkampf ist längst international geworden.
Ravensburger verschärfte die Situation für klassische Holzpuzzles noch mehr. Die Produktion war verhältnismässig kostspielig und die Auflagen klein. Nur Spezialgeschäfte stellten die altmodischen Lernpuzzles mit Spezialteilen noch her. Als Abnehmer boten sich Schulen wie zum Beispiel für den Montessori-Unterricht an.
Das Stehaufmännchen Wrebbit
Fehlt nicht ein noch ein wichtiges Teil der Puzzlegeschichte? Richtig das 3D Puzzle. Diese waren in den Neunzigern zwar nicht neu, aber Paul Gallant war es erstmals gelungen, ein geeignetes Material zu verwenden. Der Kanadier nutzte Schaumstoff und gründete die Firma Wrebbit in Montreal.
Trotz verhältnismässig stolzen Preisen gingen die 3D-Objekte weg wie warme Semmel. 1994 unterzeichnete Wrebbit eine Partnerschaft mit der Milton Bradley Sparte von Hasbro. Damit durfte das Unternehmen, die Regale von Grossverteilern wie Wal-Mart oder Toys R Us füllen.
Die Internationalisierung verlief zügig und die Verkaufzahlen explodierten. Ende der neunziger Jahre führte Wrebbit über 100 verschiedene Designs in ihrem Katalog. Höhepunkt war das Jahr 1998 mit dem Erscheinen des Films «Titanic». Wrebbits Replikation des versunkenen Luxusschiffs war gefragt und bestand aus 398 Teilen.
Die folgenden Jahre endeten für Wrebbit in einem Desaster. Die Absätze stagnierten bzw. sanken sogar und man überlebte nur dank einer Fusion mit der Firma Irwin Toys. Diese ging 2002 selbst pleite und Gallant erwarb die Puzzlesparte zurück.
Nun baut der Gründer seine Firma neu auf. Die Marke hat sich gefangen. Man produziert ausschliesslich in Kanada. Wir sind gespannt, was die Zukunft für Wrebbit bringen wird. Traditionelle Marken wie Ravensburger haben längst reagiert und führen eigene 3D-Puzzlesortimente.
Der harte Konkurrenzkampf von heute
Heute präsentiert sich das Puzzlegeschäft wahrscheinlich härter denn je. Billige Produktionen in Asien sind an der Tagesordnung und neue Innovationen werden rasch kopiert. Individualisierung ist angesagt. Fotopuzzles setzen den Schokoladenbildern zu. Das Legespiel lässt sich aber auch künftig nicht unterkriegen. Zuviel hat es bereits durchgemacht.
Moderne Druckverfahren wie der Vierfarbdruck (CMYK), Wasserstrahl- oder Laserschneidegeräte erlauben neuartige Produkte zu moderarten Preisen. So erlebt das Holzpuzzle dank der Firma Wentworth ein Revival.
Was meinen Sie, wie wird es weitergehen?
Quellen:
Anne D. Williams, The Jigsaw Puzzle, 2004
Geert Bekkering, Spass und Geduld - Zur Geschichte des Puzzlespiels in Deutschland, 2004
Website von Bob Armstrong: oldpuzzles.com
Margaret H. Richardson, The Sign of the Motor Car, 1926