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Die Praxis

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Foto: Gonzalo Garcia von dieschulschachprofis.ch

Im vorletzten Teil der «Schach in der Schule» Serie geben wir Ihnen zahlreiche praktische Tipps für den Schachunterricht. Diese sind alles andere als abschliessend und dürfen gerne mit Kommentaren ergänzt werden.

Eine Schachstunde teilt sich meistens in einen theoretischen und einen praktischen Teil auf. Erstes Hauptziel eines Anfängerkurses sollte die Vermittlung aller «Schachregeln» sein. Das bedeutet wiederum, dass Kinder die Zug- und Schlagmöglichkeiten aller Figuren vermittelt bekommen müssen. Es wäre unrealistisch und nicht förderlich, die einzelnen Schrittweisen in mehreren aufeinanderfolgenden Frontalunterrichtstunden zu erklären. Stattdessen sollten möglichst schnell praktische Spielformen eingeführt werden, um die Zugmöglichkeiten einzelner Figuren zu festigen. Eine Schachstunde könnte etwa wie folgt ablaufen:

  1. Kurze Wiederholung der letzten Stunde (ca. 5 Minuten)
  2. Neuer theoretischer Stoff (10-15 Minuten)
  3. Praktischer Teil mit Übungsaufgaben (10-15 Minuten)
  4. Praktischer Teil mit Spielenformen nach Thema oder freies Spiel (ca. 15 Minuten)

Die Unterteilung ist als wage Richtlinie zu betrachten und sollte flexibel gehandhabt werden. Der Schachlehrer muss während dem Unterricht ein Gefühl entwickeln, ob die Mehrheit der Kinder weiterhin interessiert zuhören. Werden die Schüler unruhig, ist er besser beraten, den Theorieteil so schnell wie möglich abzuschliessen. Der umgekehrte Fall ist ebenfalls möglich. So gibt es Gruppen die problemlos 20 Minuten konzentriert zuhören und sich aktiv am Unterricht beteiligen. Deshalb sollte der Schachlehrer immer etwas Bonusmaterial in der Hinterhand haben.

Die Zeitangaben verdeutlichen zudem, wie beschränkt die Möglichkeiten mit 45 Minuten pro Woche sind. Dabei bleibt es zentral, dass der Schachlehrer ein nicht zu hohes Tempo anschlägt. Schüler sollten nicht mit Elementen wie Eröffnungen, Strategie oder Taktik überfordert werden. Beherrscht ein Jugendlicher die Grundregeln nicht sattelfest, macht es schlicht keinen Sinn, über die spanische Eröffnung zu sprechen. Er würde wahrscheinlich erschrecken, weil er die Thematik nicht nachvollziehen kann und höchstwahrscheinlich das Schachspiel ablehnen. Für ihn wäre das Schachspiel ein Pflichtprogramm wie Mathematik oder Französisch. Wir werden die Freude und das Vergnügen am Forschen nicht wecken, wenn Schach von den Schülern als Pflicht wahrgenommen wird.

Die Kinder scheinen Spass am Schach zu haben!

Foto: Gonzalo Garcia von dieschulschachprofis.ch

Glücklicherweise haben Kinder jedoch eine offene Herangehensweise an unbekannte Dinge. Von Erwachsenen (insbesondere Frauen) ist leider häufig zu hören: «Ich finde Schach total faszinierend, aber für mich ist das nichts!». Kinder geben solche Sätze äussert selten von sich... Sie scheinen die Gabe zu haben, unvoreingenommen neue Sachen entdecken zu wollen. Wenn sie etwas nicht auf Anhieb verstehen, nagt das in der Regel nicht sofort an ihrem Selbstwertgefühl. Innerlich verfügen sie über die vorbildliche Einstellung: «Heute kann ich es zwar noch nicht, aber in Zukunft werde ich das meistern können!». Es liegt an uns Erwachsenen diese Eigenschaft von Jugendlichen zu stärken und nicht wie leider üblich zu schwächen.

Leistungsüberprüfung

Eine wichtige Aufgabe des Lehrers besteht in der Sicherstellung eines angenehmen Unterrichtklimas. In der Schachstunde ist es zentral, dass sich ein Kind vor dem Schachbrett wohlfühlt. Wir empfehlen deshalb bewusst keine Leistungsüberprüfung durchzuführen. Kinder werden von bevorstehenden Examen wohl eher eingeschüchtert als motiviert. Zudem stellt sich die Frage, was überhaupt geprüft werden sollte? Die Spielstärke wäre ein absurdes Mass, da dies gar nicht zu den primären Zielen eines Schulschachprojektes gehören sollte. Sollten Kinder stattdessen irgendwelche Fakten rund um das Spiel der Könige auswendig lernen? Es dürfte bereits genug Fächer geben, welche diese «Fähigkeiten» ausführlich testen.

Verdeutlichen wir die Problematik an einem Beispiel eines lernschwachen Schülers und nennen ihn Raul. Raul ist bereits einmal sitzen geblieben und tut sich in allen Fächern bis auf Sport schwer. Lernen langweilt ihn und seine Konzentrationsfähigkeit ist bescheiden. Nun erhält Rauls Klasse Schachunterricht. Raul ist zu Beginn skeptisch und scheint nicht besonders interessiert. Nach und nach freut er sich jedoch auf die wöchentliche Schachstunde. Die Schlagmöglichkeiten der Figuren faszinieren ihn und er mag die praktischen Spielformen. Zu Hause versucht er seinem kleinen Bruder die Regeln zu erklären, um einen Spielpartner zu haben. Nach einigen Wochen ist Raul im Unterricht allgemein ruhiger und kann sich über eine längere Phase konzentrieren. Objektiv betrachtet sind seine Fähigkeiten bzw. Wissen im Schachspiel aber eher unterdurchschnittlich.

Wie lässt sich Raul bewerten? Er wird in keinem Test besonders gut abschneiden, obwohl er sich selbst für einen ausgezeichneten Schachspieler hält. Die Bezifferung seiner Leistung in Form einer Note dürfte sein neu gewonnenes Selbstvertrauen (teilweise) zunichtemachen. Sollen wir Raul nun erklären, dass er einen wichtigen Schritt für ein zukünftig erfolgreiches Leben getan hat, aber dennoch eine schlechte Note erhält? Eine Lehrperson muss vom Nutzen des Schachunterrichts überzeugt sein, unabhängig davon, ob es eine Prüfung gibt oder nicht. Aus unserer Sicht ist die Leistungsüberprüfung eher hinderlich, um von den positiven Faktoren des Schachspiels zu profitieren. Die praktische Erfahrung zeigt übrigens, dass Schüler wie Raul keine frei erfundenen Beispiele sind.

Praxis im Unterricht

Lehrer neigen während Frontalunterricht zu langatmigen Reden. Studien bestätigen, dass selbst interessierte Zuhörer eines Vortrages nur einen Bruchteil vom Inhalt aufnehmen. Zudem stellt sich die Frage, wie aufmerksam Schüler im Frontalunterricht überhaupt aufpassen. Obwohl das Interesse am Schachspiel bei Schülern meistens vorhanden ist, dürfen Schachlehrer keinen «Freifahrtschein» erwarten. Es wird immer Kinder geben die das Spiel der Könige nicht besonders mögen. Die Bevorzugung eines praktischen Unterrichtsstils gegenüber Frontalunterricht ist bei Kindern jedoch üblich.

Spezielle Spielformen sind nützlich!

Foto: Gonzalo Garcia von dieschulschachprofis.ch

Trotzdem muss am Anfang eines Schachkurses ziemlich viel geredet bzw. erklärt werden. Schliesslich sollen in Zukunft alle Zug- und Schlagmöglichkeiten beherrscht werden. Schüler können es jeweils kaum erwarten, bis sie endlich Partien spielen dürfen. Ein professioneller Schachtrainer versteht es, die anfängliche Motivation zu nutzen und mit kleinen Tricks zu arbeiten. Statt stur einen durchstrukturierten Plan zu verfolgen, könnten Sie fragen: «Wollen wir mit den einfachen oder den schwierigen Figuren beginnen?».

Sie können sich vorstellen, dass sich die meisten Klassen für die schwierigen Figuren entscheiden. Schliesslich wollen Kinder ihre (zweifelsohne vorhandenen) Fähigkeiten unter Beweis stellen. In diesem Falle ist es möglich, mit den Bauern zu Beginnen. Dies wird Ihnen als Lehrperson viele kleine Spielformen ermöglich, ohne die anderen Figuren sofort erklären zu müssen. Dabei dürfte es selbstverständlich sein, dass in dieser Anfangsphase die Spezialzüge «en passant» oder «Bauernumwandlung» weggelassen werden.

Kinder können sich anschliessend beispielsweise mit dem «Bauernkloppe» Spiel vergnügen. Beide Seiten stellen eine beliebige Anzahl Bauern auf die zweite bzw. siebte Reihe. Ziel des Spiels ist es, einen Bauern auf die gegnerische Grundreihe zu bringen. Wer dies schneller schafft, hat gewonnen. Das Spiel lässt sich leicht abändern und so kann später zum Beispiel der König hinzugefügt werden.

Der Schachlehrer bleibt während diesen praktischen Spielzeiten relativ zurückhaltend. Er ist stiller Beobachter und verschafft sich einen Gesamtüberblick. Wurden die Regeln verstanden bzw. wo liegen Unklarheiten? Während des praktischen Spielens kann einzelnen Schülern die Gangart des Bauern nochmals in Ruhe erklärt werden, ohne dabei die Anderen zu langweilen. Für Aussenstehende mag manchmal der Eindruck vom Nichtstun entstehen. Der Schachlehrer reagiert quasi nur auf Fragen oder Fehler. Dies wäre aber ein unangebrachter Kritikpunkt. Vielmehr stellt sich die Frage, weshalb wir eingreifen sollten, wenn Kinder konzentriert Nachdenken und die faszinierenden Möglichkeiten des Schachspiels entdecken. Selbstverständlich muss darauf geachtet werden, dass Jugendliche die ihnen gewährten Freiheiten nicht missbrauchen, um belanglose Gespräche miteinander zu führen. Es sollte klargemacht werden, dass der Schachunterricht zwar Spass und Unterhaltung bietet, aber auch Einsatz erfordert.

Interessant ist die Herangehensweise zur Beantwortung von Fragen. Manchmal lässt sich eine Frage an die ganze Klasse weiterleiten. In nicht wenigen Fällen kommt eine erstaunlich gute und kreative Antwort zustande. Sonst sollte die Einfachheit und Glaubwürdigkeit im Vordergrund stehen. «Warum sollte während dem Schachspiel Ruhe herrschen?» wäre eine typische Schülerfrage. «Weil die offiziellen Schachregeln es so verlangen» wäre eine bescheidene Antwort. Versuchen Sie in der ersten Person die Gründe zu benennen. «Weil ich mich bei Lärm gestört fühlen würde und deshalb schlechter spielen würde» klingt einleuchtender oder? Bei aufgabenspezifischen Fragen sollten keine Lösungen vorgesagt werden. Versuchen Sie stattdessen mit einigen Tipps, das Kind zur Lösung heranzuführen.

Die grössten Lernerfolge dürften Kinder jedoch voneinander erzielen. Beim zuvor erwähnten Bauernkloppe Spiel wird zu Beginn stur Duell um Duell folgen. Mit der Zeit werden Kinder versuchen herauszufinden, was der beste Anfangszug ist oder es beginnen Diskussionen wie: «Als es noch so stand, hätte ich das und das machen können!». Ratschläge oder allgemein Erfahrungsaustausche zwischen gleichaltrigen scheinen eine höhere Glaubwürdigkeit zu besitzen. Kinder unterhalten sich auf der selben Ebene und hören mit mehr Interesse zu, als wenn ein Erwachsener seine «Weisheit» zu verbreiten versucht. Generell sollten Schachlehrer den Weg des Lernens von Kindern möglichst offen halten. Ein guter Trainer ist in der Lage, den Springerzug auf verschiedene Arten zu erklären. Dadurch kann sich das Kind die passende Merkhilfe aussuchen.

Gummibärchen Schach ist besonders beliebt!

Foto: Gonzalo Garcia von dieschulschachprofis.ch

Wir empfehlen in jeder Schachlektion mindestens die Hälfte der Zeit mit praktischem Spiel oder zumindest Übungsaufgaben zu verbringen. Es scheint die effektivste Methode zu sein, um zu fordern aber nicht überfordern. Zudem bereitet sie den Kindern am meisten Spass!

Fertig, Aus, Ende?

Jeder «Schach in der Schule» Kurs wird ein Ende finden, egal ob es sich um ein Mehrjahresprojekt oder eine einzelne Woche handelt. Es wäre wünschenswert, wenn die zuständige Lehrperson den Kontakt zu einem Kinderschachclub im Dorf oder örtlichen Schachverein mit einer Jugendgruppe sucht. Viele Kinder sind am Schluss eines Schachkurses begeistert vom Spiel der Könige und würden gerne weitermachen. Das Verteilen eines A4-Informationsblatts mit den wichtigsten Informationen respektive Links zum Schachspiel dürfte Eltern die Sache erheblich erleichtern. Dies ist insofern wichtig, da sich manche Eltern gar nicht bewusst sind, dass in Vereinen oder Schachschulen Schach für Kinder angeboten wird.

In der Regel möchten die meisten Kinder einen Informationszettel mit nach Hause nehmen. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass später alle gemeinsam in den Schachverein eintreten. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass sich bis zu einem Drittel der Kinder intensiver mit dem Schachspiel auseinandersetzen möchten. Generell wäre es wünschenswert, wenn zwischen Schulen und Vereinen eine engere Zusammenarbeit stattfinden würde. So kann beispielsweise mit der Stappenmethode das gleiche Lehrmittel verwendet werden, was den Übertritt vereinfacht.

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